Was stimmt nicht mit mir?

24.07.2023
Hello und willkommen zurück auf meinem Blog! Das Thema für den heutigen Beitrag ist aktueller denn je und wird leider immer noch mit sämtlichen Vorurteilen in Verbindung gebracht: Einen an der Waffel haben. Keine Ahnung zu haben, was echte Probleme sind. Bekloppt sein. Nicht ganz rund laufen. Ich könnte die Liste endlos weiterführen. Na, klingelt es? Dieser Beitrag ist ausdrücklich ein Plädoyer für Psychotherapien!
Ich muss an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich keine Psychologin/Psychotherapeutin bin und die Basis dieses Beitrags meine eigenen Gedanken und Erfahrungen sind. 

Die Erkenntnis, dass im eigenen Leben längst nicht alles so perfekt verlaufen ist, wie man es sich gewünscht hätte, schmerzt sehr. Ich selbst erinnere mich an ein Gefühl der inneren Leere und Hilflosigkeit. Ich war nur noch die Hülle meiner selbst - sowohl innerlich als auch äußerlich. Schuldgefühle und Selbstkontrolle haben überhand genommen. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte mir dabei nicht mindestens einmal die Frage gestellt: Was stimmt nicht mit mir? 

Die Gründe, warum sich Menschen in Therapien begeben, sind natürlich vollkommen individuell. Veränderungen, Krankheit, Trauer, geringes Selbstwertgefühl, geringes Selbstvertrauen, Gewalt, Probleme in (zwischenmenschlichen) Beziehungen, uvm. Laut DGPPN sind in Deutschland jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen (Stand: 2019).  Zu den häufigsten Erkrankungen zählen Angststörungen, gefolgt von affektiven Störungen (z.B. Depressionen) und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum.

Es sind Erlebnisse und psychische Ausnahmesituationen, sogenannte Traumata, die unsere Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen prägen. Manchmal sind es nur klitzekleine, längst verdrängte Erinnerungen, die in uns schlummern und dafür sorgen, dass das Zentrum unserer Gedanken und Gefühle bei den kleinsten Anzeichen sofort in Alarmbereitschaft gerät. Manchmal ist dabei auch vom "inneren Kind" die Rede, weil viele Erlebnisse und psychische Ausnahmesituationen aus der Kindheit stammen. Muster also, die uns geprägt haben und tief in uns verankert sind. Andere Traumata dagegen erfahren wir im Laufe unseres Lebens.

Jeder von uns hat seine eigene Geschichte. Das Leben ist wunderschön und vielseitig. Manchmal ist es aber auch knallhart und absolut schonungslos. Im Idealfall lässt sich die eigene Resilienz (=Widerstandsfähigkeit) selbst stärken, z.B. in dem wir aus Erfahrungen lernen, bewusste Entscheidungen treffen und positiv denken. Oder indem wir uns mit lieben Menschen umgeben, uns tägliche Ziele setzen, Pausen gönnen und in Akzeptanz üben. Die Erkenntnis, sich selbst nicht mehr helfen zu können, erfordert enorm viel Kraft. Viele betroffene Personen sind beschämt und unsicher. Sie fühlen sich hilflos und allein. Und nicht zuletzt stellt sich oft auch die Frage: Geht es mir überhaupt schon schlecht genug? Merke: Man ist nicht weniger wert als andere Menschen und die eigenen Probleme sind nicht weniger schlimm als die unserer Mitmenschen. Und schon gar nicht sind die Probleme von heute weniger schlimm als die Probleme von damals! Es ist immer so schlimm, wie es sich für dich persönlich schlimm anfühlt. 


Für eine Psychotherapie bedarf es radikale Akzeptanz, Zeit, Energie, wöchentliche Termine und Mitarbeit. Und enorm viel Mut! Es gilt, die eigene Realität zu akzeptieren anstatt dagegen zu rebellieren. Das ist eine echte Herausforderung. Es kostet enorm viel Überwindung, sich seinen eigenen Themen zu stellen, sie auszusprechen und klar zu benennen. Das schmerzt und erfordert eine Auseinandersetzung mit der (verdrängten) Vergangenheit. Sicherlich lassen sich Momente, Entscheidungen und Traumata dadurch nicht rückgängig machen. Eine Therapie hilft jedoch zu lernen mit ihnen zu leben. Und es ist absolut legitim, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. 

Vorurteile gegenüber Psychotherapien machen mich auch deswegen so wütend, weil sie eben so viel mehr sind, als es sämtliche Vorurteile glauben lassen. Es ist nicht nur sinnloses Gerede auf einem Ledersofa in einem steril eingerichteten Raum. Psychotherapien sind unheimlich anstrengend und anspruchsvoll und erfordern ein hohes Maß an Mitarbeit und Geduld. Besserung stellt sich meistens erst nach einer längeren Zeit ein. Zudem gibt es nicht selten unerwünschte Neben­wirkungen – emotionale, aber auch körperliche. Ist euch eigentlich bewusst, wie aufwühlend eine Psychotherapie ist? Nach einer Sitzung können die Probleme zunächst größer wirken als sie sind. Good to know: Die nervenaufreibende Zeit der Psychotherapie kann erleichtert werden, wenn die Chemie zwischen Patient und Therapeut stimmt.

In Psychotherapien geht es darum, seine eigenen Muster zu verstehen, vielleicht sogar mit ihnen zu brechen und die beste Version seiner Selbst zu werden. Es geht um Selbstfürsorge und Verantwortung gegenüber der eigenen, psychischen Gesundheit. Um es mit den Worten von Julia Engelmann zu sagen: Mit 'nem Beinbruch gehst du auch zum Orthopäden. Deshalb kannst du ja vielleicht mal mit 'nem Psychologen reden? Nur erkennt man ein gebrochenes Bein eben sehr viel schneller als eine gebrochene Seele. Das ist es, wofür viel mehr sensibilisiert werden muss: Psychische Probleme und Erkrankungen sind zwar nicht sichtbar, dadurch aber nicht weniger schlimm. Psychische Erkrankungen bedeuten den Verlust gesunder Lebensjahre. Konkreter gesagt: Menschen mit psychischen Erkrankungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um zehn Jahre verringerte Lebenserwartung! 

Psychotherapien gehören längst normalisiert. Ich halte es für ungemein wichtig, mit gewohnten Verhaltensweisen zu brechen, es besser zu machen und mit gutem Beispiel voran zu gehen. Und natürlich geht es auch darum, sich selbst wichtig zu nehmen und sich etwas Gutes zu tun. Sich in Therapie zu begeben bedarf viel Mut und es ist schade, dass immer noch nicht anerkannt wird, dass sich Menschen Hilfe holen und ihren Themen stellen. Vergangene Erlebnisse und psychische Ausnahmesituationen lassen sich leider nicht rückgängig machen, aber eine Psychotherapie hilft dabei mit ihnen umzugehen. Ist das nicht unglaublich mutig? 

In diesem Sinne: Lasst frischen Wind herein und alle alten Zweifel heraus! 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bitte beachte ab Mai 2018 die neue Datenschutz-Grundverordnung. Mit Absenden eines Kommentars und bei Abonnieren von Folgekommentaren stimmst Du der Speicherung personenbezogener Daten zu.