Tabuthema: Finanzielle Abhängigkeit - Über Geld spricht man nicht...

15.06.2025
„Über Geld spricht man nicht.“ Dieser Satz wurde vielen von uns von klein auf beigebracht und hat sich tief in unser Denken eingegraben. Es gilt als unhöflich, über finanzielle Dinge zu reden oder danach zu fragen. Es ist peinlich, die eigene Geldsituation zu teilen oder um Hilfe zu bitten. Aber was passiert, wenn dieses Schweigen dazu führt, dass wir in eine finanzielle Abhängigkeit geraten, ohne uns des Ausmaßes bewusst zu sein?

Finanzen gelten als „privat“ und „persönlich“. Es fällt uns schwer, offen über Geld zu sprechen. Geld wird oft als Maßstab für Erfolg oder Misserfolg angesehen. Das macht es zu einem heiklen Thema. Und nicht selten löst es Emotionen wie Neid, Scham oder Stolz aus. Wir verheimlichen Schulden, unseren Konsumrausch oder die Angst, irgendwann im Alter ohne Rücklagen dazustehen.

Wir sollten viel häufiger offen und ehrlich über Geld reden, das Schweigen brechen und gleichzeitig eine Veränderung anstoßen – eine Veränderung, die es in dieser Welt dringend braucht. Lass uns heute den ersten Schritt machen!



Statistiken, Zahlen, Fakten...
5,56 Millionen. So viele Menschen sind in Deutschland überschuldet. Ich musste die Zahl gleich zweimal lesen, weil ich es nicht glauben konnte. Das sind nicht nur ein paar wenige – es sind Millionen Menschen wie du und ich. Die durchschnittliche Schuldenhöhe lag 2023 bei 31.565€. Und obwohl die Zahl sehr abstrakt klingt, stecken oft reale Schicksale dahinter: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Trennung. Oder einfach das Leben, das plötzlich teurer wird, als man es ursprünglich geplant hatte.

Was mich besonders nachdenklich gestimmt hat: 30 % der Betroffenen hatten 2023 Schulden bei Online- oder Versandhändlern. Bei jungen Menschen zwischen 20 und 24 Jahren waren es sogar 40 %. Und bei Frauen 37 %. Dinge kaufen, die man sich eigentlich nicht leisten kann… Ein Klick und zack – das Bankkonto schreibt rote Zahlen. Männer sind zwar häufiger verschuldet und tragen im Schnitt mehr Schulden mit sich herum, aber Frauen sind besonders oft betroffen, wenn es um die kleinen, ständig verfügbaren Schuldenquellen geht. Und: Die meisten überschuldeten Menschen leben allein. Über die Hälfte der Menschen, die sich 2023 Hilfe bei einer Schuldnerberatung suchten, hatten niemanden im Haushalt. Allein lebt es sich „frei“. 

Ich nenne diese Zahlen nicht, um Angst zu machen. Ich möchte Bewusstsein schaffen. Schulden passieren nicht nur „den anderen“. Sie passieren oft schleichend und sind ein Symptom für ein Leben, das schnell aus dem Gleichgewicht geraten kann. Für Zeiten, in denen die emotionale Lücke mit einer Bestellung bei Zalando gefüllt wird. Dass die Zahl der Überschuldeten seit 2020 langsam sinkt, ist ein kleines Licht. Vielleicht haben wir gelernt, sparsamer zu leben. Vielleicht haben staatliche Hilfen etwas abgefedert. Vielleicht…

Ich möchte dir in diesem Beitrag die oft unterschätzten und unsichtbaren Formen der finanziellen Abhängigkeit näherbringen, die sowohl in Beziehungen als auch im Alltag eine große Rolle spielen.

Finanzielle Abhängigkeit als Beziehungsgewalt
Wusstest du schon, dass finanzielle Abhängigkeit eine Form von Beziehungsgewalt ist? Sie bleibt oft unerkannt, weil sie leise und unsichtbar ist. Und es ist Gewalt – nur eben ohne blaue Flecken. Trotz der enormen Auswirkungen gibt es wenig Forschung zu diesem Thema. Für mich ein Grund mehr, in diesem Beitrag darüber zu sprechen.

Finanzielle Gewalt bedeutet, dass eine Person in der Beziehung die volle Kontrolle über das Geld hat und die andere kaum oder gar nicht mitreden darf. Vielleicht hast du kein eigenes Konto. Vielleicht darfst du nicht arbeiten gehen. Vielleicht musst du deinen ganzen Lohn abgeben oder jeden Kassenzettel erklären. Vielleicht musst du um Geld bitten, wenn du dir etwas kaufen willst. Irgendwann hast du das Gefühl, nicht mehr über dein Leben bestimmen zu dürfen, weil du ohne das Geld der anderen Person nicht über die Runden kommst. Du bist finanziell abhängig. Und diese Abhängigkeit ist selten Zufall. Sie wird ganz bewusst erzeugt. Wer kein eigenes Geld hat, bleibt. Nicht, weil er oder sie will, sondern weil ein Ausweg schlichtweg kaum möglich erscheint. Genau darin liegt die Gefahr.

Finanzielle Abhängigkeit in Beziehungen ist keine Seltenheit. Viele Menschen erleben finanzielle Kontrolle in ihren Beziehungen. Der Weg in diese Abhängigkeit ist schleichend. Was zunächst als praktische Aufgabenteilung oder Fürsorge erscheint, entwickelt sich nicht selten zu einem subtilen, aber wirksamen Machtinstrument. Wenn alles über das Konto des Partners oder der Partnerin läuft, wenn man keinen Zugang zu eigenem Einkommen hat, keinen Job annehmen darf, weil es angeblich „nicht nötig“ sei oder „sich jemand um die Kinder kümmern muss“, wenn man sich für jede Ausgabe rechtfertigen oder sogar um Erlaubnis bitten muss, wenn man keinen Zugang zu Online-Banking, Verträgen oder Versicherungen hat, obwohl man mitverantwortlich ist – dann wird finanzielle Kontrolle zur Realität. Selbst wenn man arbeitet, bekommt man manchmal nur ein sogenanntes „Taschengeld“ – und im schlimmsten Fall werden sogar Schulden auf den eigenen Namen gemacht, ohne dass man davon weiß.

Was all diese Situationen gemeinsam haben? Sie entziehen dir deine finanzielle Selbstbestimmung. Ohne finanzielle Freiheit fehlt dir die Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln oder eine ungesunde Beziehung zu verlassen. Das macht Angst. Du fühlst dich klein, wertlos, abhängig. Du beginnst, an dir zu zweifeln. Finanzielle Gewalt ist genauso belastend wie körperliche Gewalt. Sie zerstört dein Selbstbewusstsein, schränkt deine Handlungsfähigkeit ein und nimmt dir deine persönliche Freiheit. Und trotzdem wird über finanzielle Gewalt kaum gesprochen. In Deutschland gibt es bis heute keine umfassende Studie, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt. Die meisten Beratungsstellen erkennen finanzielle Gewalt nur im Zusammenhang mit anderen Formen von Missbrauch. Dabei ist sie häufig die Grundlage, auf der sich weitere Gewaltformen aufbauen. Finanzielle Gewalt in Beziehungen ist nicht laut. Sie bricht keine Knochen. Aber sie bricht Leben – langfristig und oft endgültig. Besonders betroffen sind Menschen mit geringem oder keinem eigenen Einkommen, Alleinerziehende, Personen mit Migrationshintergrund oder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, junge Erwachsene ohne finanzielles Sicherheitsnetz sowie Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Aber grundsätzlich kann jede Person betroffen sein – unabhängig von Bildung, sozialem Status oder Geschlecht. Finanzielle Gewalt ist kein Einzelfall und keine Frage der Intelligenz.

Wenn du dich in diesen Zeilen wiedererkennst, möchte ich dir sagen: Du bist nicht überempfindlich. Du bist nicht undankbar. Du bist wachsam – und das ist gut. Nimm dein Gefühl ernst. Sprich mit jemandem, dem du vertraust. Hole dir Unterstützung. Informiere dich über deine Rechte. Und vor allem: Glaube dir selbst. Echte Liebe kontrolliert nicht. Sie teilt, stärkt und lässt frei. Niemand sollte aus Angst vor Armut in einer Beziehung bleiben müssen. Du bist nicht allein. Du bist nicht schuld. Und du verdienst ein Leben in Freiheit – auch finanziell.

Die Macht des Geldes: leistungs(un)abhängiges Vermögen
Hast du schon einmal von leistungsabhängigen Vermögen gehört? Von leistungsabhängigen Vermögen sind insbesondere Menschen betroffen, die aus finanziell weniger privilegierten Familien stammen. Diese Menschen müssen sich vieles hart erarbeiten und leben mit der ständigen Sorge, in finanzielle Not zu geraten. Ihr Leben ist oft von geringen Löhnen abhängig, z.B. durch den Arbeitgeber, den Partner, die Familie oder staatliche Unterstützung wie Arbeitslosengeld und Kindergeld. Der Druck, genug zu verdienen, um den Lebensunterhalt zu sichern, wächst dabei stetig.

Im Gegensatz dazu steht leistungsunabhängiges Vermögen - also Geld, das nicht selbst erarbeitet werden muss. Es kommt durch Erbschaften, Schenkungen oder familiäre Unterstützung in das Leben, manchmal sogar schon mit der Geburt. Kurz gesagt: Vermögen, das nicht unmittelbar an die eigene Arbeitskraft oder das Einkommen gebunden ist. Wusstest du schon, dass in Deutschland 71% der Milliardäre ihr Vermögen geerbt haben? Das ist wesentlich mehr als im weltweiten Durchschnitt. Dieser liegt bei 36%. Es geht aber nicht nur um Geld, sondern auch um die Freiheit, die damit einhergeht – und um die Unsicherheit, die entsteht, wenn man diese Freiheit nicht hat. Menschen mit leistungsunabhängigem Vermögen können berufliche Entscheidungen oft freier treffen. Wer über finanziellen Rückhalt verfügt, kann Pausen machen, Risiken eingehen, Forderungen stellen und sich selbst verwirklichen. Wer ohne dieses Vermögen auskommen muss, sieht sich oft gezwungen, kontinuierlich zu arbeiten, zu planen und zu kalkulieren. Auch in Situationen, die längst nicht mehr gesund sind.

Leistungsabhängiges und leistungsunabhängiges Vermögen sind sehr unterschiedlich verteilt. Der Mittelstand stirbt regelrecht aus. Ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt einen sehr großen Teil des Vermögens, die meisten Haushalte haben aber nur wenig oder gar kein Vermögen. Kurz gesagt: Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer. Während die einen im Überfluss leben, haben die anderen kaum etwas zum Leben übrig. Es geht also nicht nur um Neid...

Klarna, PayPal und co.: Die Grauzone zwischen Freiheit und Abhängigkeit
„Jetzt kaufen, später zahlen“ Ein neues Handy, ein Zahnarztbesuch, die Waschmaschine, ein größerer Fernseher oder ein spontanes Kleid für den Sommer: Mit Klarna, PayPal-Raten oder 0 %-Finanzierungen wirkt Konsum plötzlich ganz leicht, selbst wenn das Konto leer ist. Was sich anfühlt wie Unabhängigkeit, kann schnell in die finanzielle Abhängigkeit führen. Kommt dir das bekannt vor? Vor allem junge Menschen und Menschen mit wenig Einkommen nutzen solche Angebote immer wieder. Sie sind nicht leichtsinnig, sie haben oft schlichtweg keine andere Option. Wenn finanzielle Rücklagen fehlen, wird der Dispo zur Notlösung und Klarna zur Überlebensstrategie.

Finanzielle Abhängigkeit beginnt also auch da, wo du dein Leben in kleinen Monatsraten finanzieren musst. Wo du Schulden anhäufst, um über die Runden zu kommen. „Buy now, pay later“ wird zur vermeintlichen Rettung und zur stillen Falle. Behalte immer im Hinterkopf: Klarna & Co. verkaufen Schulden nicht als Risiko, sondern als Lifestyle. Alles wirkt easy und freundlich, fast schon fürsorglich. Hinter der rosa Oberfläche steckt allerdings ein System, das von Unsicherheit lebt und daran verdient, dass du mittellos bist. Schlussendlich bezahlst du viel mehr, als ursprünglich geplant. Echte finanzielle Unabhängigkeit entsteht nicht durch späteres Zahlen, sondern durch die Möglichkeit, ohne Angst vor dem nächsten Mahnschreiben zu leben.

Bitte vermeide es, den "Jetzt kaufen, später bezahlen" Button zu klicken. Wähle Vorauszahlungen oder - noch besser- verzichte auf Käufe, die du dir nicht leisten kannst. Und tappe niemals in die Dispo Falle! Notwendige Ausgaben wie Miete, Lebensmittel und Versicherungen haben immer oberste Priorität.

Kredite: Wenn uns finanzielle Verpflichtungen die Freiheit rauben
Kredite für ein Haus, eine Immobilie oder ein Auto – wer hat nicht schon einmal darüber nachgedacht? Für viele von uns sind sie die einzige Möglichkeit, große Wünsche zu erfüllen. Dinge, die man sich ohne einen Kredit niemals leisten könnte. Aber ein Kredit bedeutet nicht nur Geld. Ein Kredit bedeutet Verantwortung. Und manchmal auch Abhängigkeit – emotional, strukturell und finanziell.

Kredite werden nicht einfach „geschenkt“. Sie müssen mit Zinsen und häufig auch Gebühren zurückgezahlt werden. Zinsen können eine erhebliche finanzielle Mehr-Belastung darstellen, vor allem bei großen Summen. Und oft vergessen wir, was diese finanziellen Verpflichtungen langfristig bedeuten. Hinzu kommt, dass es in schlechten Zeiten (z.B. bei unerwarteten Ausgaben oder Einkommensverlusten) schwieriger wird, mit der Rückzahlung Schritt zu halten. Die Gefahr, in Zahlungsrückstände zu geraten, wächst. Besonders dann, wenn Jobverlust, Krankheit, Tod oder andere unerwartete Herausforderungen hinzukommen.

Wie viel finanzielle Unabhängigkeit hast du also wirklich, wenn dir ein Kredit ständig im Nacken sitzt? Der Druck, einen „normalen“ Lebensstandard zu wahren, ist mittlerweile einfach zu groß. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern auch um das Gefühl von Kontrolle und Freiheit. Wir sollten uns weniger von oberflächlichen Annehmlichkeiten blenden lassen, sondern uns bewusst machen, welche langfristigen Auswirkungen Kredite haben können.

Der Mythos vom Sparen
„Sparen, sparen, sparen!“ – dieser Rat klingt fast schon wie eine goldene Regel für ein selbstbestimmtes Leben. Und es könnte DIE Lösung gegen finanzielle Abhängigkeit sein. Oder?

Der Mythos vom Sparen funktioniert natürlich nur in einer wohlhabenden Gesellschaft. Wer ein gutes Einkommen hat, kann sparen, Rücklagen bilden und die Zukunft selbst in die Hand nehmen. Für viele Menschen ist Sparen allerdings ein Luxus. Wie soll jemand sparen und Rücklagen schaffen, der sich kaum den täglichen Lebensunterhalt leisten kann? Wer ständig mit Mietkosten, Stromrechnungen und der Versorgung seiner Familie kämpft, hat schlichtweg keine Möglichkeit, Geld zurückzulegen. Sparen wird zu einem Privileg, das in Zeiten von sozialer Ungleichheit nur wenigen Menschen zugutekommt, während der Rest in einer ständigen finanziellen Abhängigkeit lebt.

Immer wieder wird Menschen geraten, sie müssten „nur besser mit Geld umgehen“ und die finanzielle Freiheit käme von ganz allein. Aber so einfach ist es leider nicht. Sparen kann nur funktionieren, wenn man überhaupt etwas übrig hat. Das ist keine Frage von Disziplin.

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was „finanzielle Unabhängigkeit“ für dich bedeutet?

Alles Liebe und bis zum nächsten Mal, deine Mareike 

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