Tabuthema: emotionale Erpressung und Manipulation

07.06.2021
Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe und Anerkennung. Dieser Fakt bildet das Fundament für das heutige Tabuthema: emotionale Erpressung und Manipulation. Emotionale Erpressung trifft Opfer auf sehr empfindliche Weise, weil sich Erpresser und Opfer meist sehr gut kennen und dem Erpresser dadurch sehr wohl bewusst ist, wie viel dem Opfer die Beziehung wert ist, wie groß die Liebe und vielleicht auch die emotionale Abhängigkeit sind. Emotionale Erpressung begegnet uns auf vielen Ebenen. Teilweise wissen die Betroffenen nicht einmal, dass sie Opfer sind und sich in den Fängen eines Erpressers befinden. Viele Erpresser sind dabei eher passiv, manche ausgesprochen aggressiv, andere gehen subtil vor. Eines haben sie aber gemeinsam: Eine Wiedergutmachung ihnen gegenüber ist kaum möglich...

Disclaimer: Ich schreibe im nachfolgenden Text ganz allgemein von "dem Erpresser" und von "dem Opfer", aber natürlich können Erpresser und Opfer Männer wie auch Frauen sein!



Was ist emotionale Erpressung?
Emotionale Erpressung – das ist eine schwerwiegende Form der Manipulation, bei der sich Erpresser und Opfer meist sehr nahe stehen und dem Opfer direkt oder indirekt mit Bestrafung gedroht wird, wenn es nicht das tut, was der Erpresser verlangt. Wenn Du einen dieser Sätze schon einmal gehört hast, dann solltest Du nun hellhörig werden:

  • "Wenn du mich wirklich lieben würdest...."
  • "Ich mache so viel für Dich und was machst Du?!"
  • "Wenn Du jetzt gehst, brauchst Du nie wieder zu kommen."
  • „Wie konntest Du nur?“
  • „Ich bin schwer enttäuscht von Deinem Verhalten.
  • „Du bringst mich noch ins Grab, so wie du dich verhältst.“
  • „Wenn man sich liebt, dann macht man so etwas nicht.“

Mit der Drohung versucht der Erpresser die für das Opfer wichtigsten Werte zurückzuhalten oder sogar gänzlich fortzunehmen. Es gilt, sich Liebe und Anerkennung erst verdienen zu müssen. Die Opfer werden dabei nicht selten beschuldigt, selbstsüchtig oder rücksichtslos zu sein. Bei emotionaler Erpressung wird die Wahrnehmung der Opfer durch den Erpresser so sehr manipuliert, dass die Opfer beginnen an ihrem Verstand zu zweifeln.

Der Erpresser hingegen kennt die wunden Punkte und Schwächen des Opfers ganz genau und nutzt diese gekonnt aus. Er setzt jedes intime Wissen ein, um seinen Drohungen Form zu verleihen und den Druck zu erhöhen.

Die Symptome und Motive von emotionaler Erpressung
Jede emotionale Erpressung hat dasselbe Muster: Forderung, Widerstand, Druck, Drohung, Unterwerfung - bis es sich wiederholt.

Erpresser fordern ihr Opfer heraus - und zwar immer. Gleichzeitig erwarten sie permanente Rücksicht. Auch sind die Erwartungen bei emotionaler Erpressung enorm groß. Bringt das Opfer seinen Widerstand klar zum Ausdruck, erhöht der Erpresser seinen Druck. Er versucht nicht, die Gefühle seines Opfers zu verstehen. Der Erpresser drängt dazu, seine Gefühle zu verstehen und die Meinung zu ändern. (Die Gefühle des Opfers spielen selbstverständlich keine Rolle.) Druck kommt bei emotionaler Erpressung immer ins Spiel, egal, wie gut die Aussage verpackt ist. Es wird mit Konsequenzen gedroht und der Erpresser macht dem Opfer nicht selten zu verstehen, welches „Leid“ die Weigerung verursacht. Weil das Opfer oftmals eine große (emotionale) Abhängigkeit gegenüber dem Erpresser spürt, gibt es nach. Es unterwirft sich ihm und jeglicher Widerstand wird über Bord geworfen.

Der Erpresser weiß nun sehr gut, welche Mittel und Wege er einschlagen muss, um seine Ziele zu erreichen. Wie er das Opfer unter Druck setzen und Schuldgefühle wecken kann. Das Opfer wiederum weiß, dass die emotionale Erpressung scheinbar am schnellsten beendet ist, wenn es dem Erpresser nachgibt.

Merke: Dieses Muster aus Forderung, Widerstand, Druck, Drohung und Unterwerfung bildet das Fundament für emotionale Erpressung. Vollkommen egal, auf welcher Ebene.

Das Profil der Erpresser
So unterschiedlich wie die Erpresser selbst sind auch die verschiedenen Arten von Erpressern. Es gibt aber keine strengen Grenzen, denn viele der Erpresser bedienen sich vielerlei Eigenschaften. Teilweise wechseln sie hin und her. Es gilt: jede Form hat verheerende Auswirkungen auf Opfer! Die Angst des Erpressers, nicht das zu bekommen was er will, ist so groß, dass er sein Vorgehen und Verhalten nur in den schönsten Farben sieht und nicht erkennt, welche Auswirkung sein Verhalten auf das Opfer hat.

Erpresser leben in ständiger Angst: Angst vor Verlust. Angst vor Veränderung. Angst vor Zurückweisung. Angst vor einem Machtverlust. Angst eben. Diese Angst steuert den Erpresser und kann ausgelöst sein durch eine tiefsitzende Furcht, durch Minderwertigkeitskomplexe, durch Unsicherheiten und Stresssituationen, die das Selbstwertgefühl der Erpresser erschüttert oder gar untergraben haben. Emotionale Erpressung gibt ihnen das Gefühl der Macht, Sicherheit und Verantwortung zurück. Kurz gesagt: Häufig ist dem emotionalen Erpresser nicht bewusst, dass er einen anderen erpresst. Hinter dem erpresserischen Verhalten verbirgt sich Schwäche - keine Stärke. Der Erpresser kann seine Bedürfnisse nicht selbstbewusst äußern und glaubt, nur durch Manipulation zu seinem Recht zu kommen. Erpresser sind gute Lügner und erzählen Dinge, die nie passiert sind oder leugnen etwas, was passiert ist. Erpresser kennen die Schwachpunkte ihrer Opfer sehr gut und verwenden diese gekonnt gegen sie.

Erpresser lassen sich in die folgenden Profile einordnen:

Der (Selbst)Bestrafer macht dem Opfer klar, dass er sich aufregen wird und nicht mehr richtig "funktionieren" kann, wenn das Opfer ihm nicht das gibt, was er braucht. Auch könnte er ankündigen, sich sich selbst etwas anzutun. Es kostet ihm enorme Anstrengung, für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen. Er macht das Opfer mit der Erpressung für das eigene Verhalten verantwortlich und hat ein Talent dafür, seinen Opfern das Gefühl zu geben, für alles verantwortlich zu sein. Der Erpresser überträgt dem Opfer die Rolle des Erwachsenen. Das bedeutet: nur das Opfer kann den Erpresser heilen und retten. Er bringt zum Ausdruck, was geschieht, wenn das Opfer seinem Willen nicht nachkommt. Oft umgeben dem Erpresser viel Dramatik, Hysterie und negative, wutgeladene Aura. 

Der Leider fühlt sich elend, krank, unglücklich oder vom Pech verfolgt und möchte sein Opfer dafür verantwortlich machen und bestrafen. Typische Aussagen könnten sein: „Wenn Du mich wirklich lieben würdest, dann….“ oder auch: „Du fragst nie, wie es mir geht“. Der Leider beschäftigt sich vor allem mit dem eigenen Unglück und erwartet von seinen Mitmenschen, dass sie seine Gedanken lesen können. Geschieht das nicht, wird der Erpresser scheinbar deprimiert, stumm und ist in Tränen aufgelöst. Leidende Erpresser ziehen sich zurück, wenn sie nicht das bekommen, was sie möchten. Sie nutzen alle schauspielerischen Fähigkeiten, wirken nach außen schwach, sind aber ein insgeheim ein Tyran.

Am subtilsten geht der Verführer vor. Er ermutigt seine Opfer, verspricht Liebe, Geld oder bessere berufliche Aussichten. Die Belohnung bekommt das Opfer aber nur, wenn es sich erwartungsgemäß verhält, woraufhin sich die Belohnung jedoch schnell in Rauch auflöst, wenn es darauf ankommt. Das Opfer erkennt meist zu spät, dass es erpresst wurde, weil der Preis scheinbar hoch und verlockend ist. Daraus entsteht eine nie endende Serie von Tests und Forderungen. Wichtig zu wissen ist auch: Was der Verführer gibt, kommt nicht von Herzen! Er handelt mit emotionaler Bestechung aus Liebe, Anerkennung, Nähe. Das Opfer bekommt nur dann, was es braucht, wenn es dem nachgibt, was der Verführer will. Die Gefühle und Bedürfnisse des Opfers spielen also keinerlei Rolle.

Das Profil der Opfer
Die Einstellung des Opfers spielt bei der emotionalen Erpressung eine entscheidende Rolle. Die Annahme, wenn sich der Erpresser ändern würde, wäre alles wieder gut, ist ein fataler Irrtum. Es liegt an dem Erpressungsopfers selbst, den Mut und das Selbstvertrauen aufzubringen, dem es bedarf, um selbst zu verstehen, was vor sich geht. Die Fügsamkeit dem Erpresser gegenüber belohnt ihn. Und das wiederum bestärkt das Opfer in seinen Handlungen. Vielleicht machen sich auch all die positiven Erinnerungen und gemeinsamen Momente im Opfer breit, die das ungute Gefühl bedecken und verschleiern.
Und während das Opfer fieberhaft überlegt, wie es die Situation ändern kann, wird es erneut überlistet, manipuliert und/oder erpresst. Plötzlich beginnt das Opfer die eigenen Fähigkeiten anzuzweifeln, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl wird untergraben. Die Opfer sind oft auch harmoniebedürftige, konfliktscheue Menschen, umgeben von vielerlei Angst-, Pflicht- und Schulgefühlen. Sie besitzen sehr viel Empathie, haben ein schlechtes Gefühl für ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Die Opfer wurden evtl. häufig zum Sündenbock der Familie gemacht. Sie sorgen sich um das Wohlergehen ihrer Mitmenschen und haben viele Selbstzweifel. Zusammengefasst: Opfer von emotionaler Erpressung sind emotional nicht stabil.

Erpresser und Opfer: vertauschte Rollen
Es ist übrigens nicht ungewöhnlich, dass Erpresser und Opfer die Rollen wechseln. Die Erpressung kommt oft nicht nur von einer Seite. Die Verschiebung erfolgt innerhalb der Beziehung. Das Opfer erpresst nun den Erpresser und möchte dadurch das Gefühl der Kontrolle zurückerlangen.

Warum ist emotionale Erpressung so schwer zu durchschauen?
Zunächst solltet Du wissen: Emotionale Erpressung kann jeden treffen. Noch konkreter gesagt: Emotionale Erpressung betrifft Millionen von Menschen und geht mit einem eher unbewussten Verhalten einher, das sich in die zwischenmenschliche Beziehung eingeschlichen hat, ohne dass es den Betroffenen klar ist. Emotionale Erpressung begegnet uns in Alltagssituationen. Sie kann in jedem Lebensbereich auftreten: am Arbeitsplatz, in Eltern-Kind-Beziehungen, im Freundeskreis, in Partnerschaften. Sie entsteht also meist Personen gegenüber, denen man sich tief verbunden fühlt. Aber warum fällt es Opfern so schwer zu verstehen, was scheinbar offensichtlich ist?

Fakt ist: Der Erpresser ist sehr gut darin, seine Handlungen zu verschleiern. Der Erpresser löst Verwirrung im Opfer aus und für Opfer selbst ist es ungemein schwer, dieses (komplexe) Konstrukt klar zu erkennen. Oft ist man auch einfach zu sehr und zu tief in die emotionale Erpressung verstrickt, um das Offensichtliche erkennen und durchschauen zu können. Unsere Sinneswahrnehmung wird durch die Erpressung nicht zuletzt massiv reduziert - sie ist quasi wie eingeschlafen. Die Opfer sind dann verwirrt, fühlen sich orientierungslos und sind gleichzeitig wahnsinnig erbittert.

Emotionale Erpressung ist häufig viel zu subtil und geschieht in Beziehungen, die scheinbar gut laufen. Emotionale Erpressung schleicht sich ganz langsam ein, bis sie schließlich alles zerstört. Es sei aber auch gesagt: Erpresser sind keine Monster! Sie haben meist eine wichtige Rolle als Unterstützer oder Beschützer im Leben des Opfers, weshalb es umso schmerzhafter ist, diese Personen als Erpresser klar zu erkennen.

Die Strategien der emotionalen Erpressung: Angst-, Pflicht- und Schulgefühle
Unsere wunden Punkte reagieren teilweise höchst sensibel auf aufgestauten Ärger, auf Reuegefühle, Unsicherheiten, und Wut. Schließlich hat jeder von uns Ängste, Verpflichtungen, Verantwortung und ein Gewissen. Ebenso verspürt jeder Mensch ein gewisses Maß an Schuldgefühlen. Das ist es, was uns in die Wiege gelegt wurde. Ich spreche sicherlich für viele von Euch, wenn ich sage: Es gelingt mir ganz gut mit diesen Gefühlen zu leben, ohne das sie mich überwältigen oder ich mich von ihnen beeinflussen oder verunsichern lasse. Manchmal wünschte ich, die Zeit zurückdrehen zu können oder ich bedauere etwas getan zu haben. Ganz normal. Nichts, was erst einmal bedenklich ist.

Meine "Sammlung" an Angst,- Pflicht- und Schuldgefühlen ist jedoch sehr groß, weshalb ich auf Sätze a la "Ich mache so viel für Dich und was machst Du?!" sehr schnell anspringe. Ich bin also das perfekte Opfer für meine Erpresser, verspüre plötzlich Schuld und Verantwortung. 

Der Erpresser erhöht den Druck zusätzlich und lässt ihn unerträglich werden. Dadurch entsteht automatisch das Bedürfnis, das bedrückende Gefühl wieder „herunterschrauben“ zu müssen. (Susan Forward hat in ihrem Buch einen tollen Vergleich getroffen: Es ist, als würde man sich die Ohren zuhalten, sobald Sirenen an uns vorbeirauschen.) Es besteht kaum die Gelegenheit nachzudenken, stattdessen reagiert man reflexartig und schnell. Das ist es, womit der Erpresser "arbeitet". Immerhin gibt es keine Pause zwischen dem Auftreten des Gefühls von Unbehagen und dem Handeln selbst. 

Was ich damit sagen möchte: unsere Angst-, Pflicht- und Schulgefühle tragen dazu bei, dass Muster des Unbehagens wachsen und uns dazu bringen, dem Erpresser wieder und wieder nachzugeben. 

Erpresser nutzen das Vertrauen ihrer Opfer aus und arbeiten mit dessen Angstgefühlen. Das passiert meist ganz automatisch. Wir sammeln Informationen und Wissen über Personen, die uns nahestehen. Das Fatale: dieses Wissen über die Opfer wird zur "Waffe" der Erpresser. Die Bedingungen werden ganz bewusst so formuliert, dass sie zu den Ängsten des Opfers passen, z.B. bei Verlustangst: „Wenn Du das tust, dann verlasse ich Dich." Dadurch wird das Vertrauen massiv missbraucht und es ist nicht mehr möglich, sich dem Erpresser zu öffnen und eine tiefere Bindung zu schaffen.

Treue, Gehorsam, Pflichtgefühl, Uneigennützigkeit, Selbstaufopferung bestimmen unser aller  Leben. Schließlich geht das Leben mit festen Regeln und Werten einher, die uns schon sehr früh mit auf dem Weg gegeben wurden und eingeprägt haben und durch den Einfluss unserer Eltern, religiöse Ansichten, Medien, Gesellschaft und Menschen, die uns nahestehen, geformt wurden. Pflichtgefühle geben an, inwieweit wir anderen Personen gegenüber verpflichtet ist. Die Bedingungen eines Erpressers gehen jedoch weit über Grenzen von Geben und Nehmen hinaus. Er wirkt großzügig, sammelt jedoch nur Pluspunkte, um sie später wieder einzufordern. Das Opfer kommt also nicht wieder aus den roten Zahlen raus, weil die vermeintliche Großzügigkeit durch Verpflichtung und ein (erzwungenes) Pflichtgefühl ersetzt wird. 

Das Opfer hingegen weiß am besten, was für andere gut ist, vergisst dabei aber sich selbst. Das Pflichtbewusstsein ist größer als die eigene Selbstachtung. Wir wissen sicher alle, dass es enorm schwierig ist, ein gesundes Maß Verpflichtung aufrecht zu erhalten und genau zu definieren, wo Verpflichtung anderen gegenüber beginnt und wo sie aufhört. Viele Menschen haben entweder zu wenig oder zu viel Pflichtbewusstsein und scheuen die Verantwortung. Ein großes Pflichtgefühl empfinden wir übrigens oft vor allem in Eltern-Kind-Beziehungen: „Eine gute Tochter sollte Zeit mit ihrer Tochter verbringen.“ Darauf gehe ich aber später genauer ein.

Schuldgefühle sind wesentlicher Bestandteil von Menschen, die zu Gefühlen und zu Verantwortung bereit sind. Schuldgefühle bedeuten nichts anderes, als ein Gewissen zu haben. Schuldgefühle greifen immer dann, wenn man die eigene soziale Moral verletzt hat. Sie sind eine natürliche, angemessene Reaktion auf etwas Verletztendes und/oder Unehrliches, was man getan hat. Man gesteht sich die vermeintliche Schuld schnell ein als zu bedenken, ob die Anschuldigung überhaupt berechtigt ist. Es sei aber auch gesagt: Schuldzuweisungen a la „Das ist alles Deine Schuld!“ sind immer schneller ausgesprochen als Schuldgefühle überhaupt auftreten können. Sei Dir bewusst, dass die Vorwürfe des Erpressers nichts mit Dir zu tun haben. Schuldzuweisungen von Personen, die uns nahestehen, nimmt man oft schnell an, woraufhin sie unbeirrt fließen können. Und es gilt: Die wenigsten Menschen können über Fehler nachdenken, ohne dabei keine Schuldgefühle zu entwickeln. Die Schuldgefühle des Opfers sind daher das stärkste Mittel der Erpresser.

unverschuldete Schuld
Ganz klar sollte man aber Schuld von unverschuldeter Schuld unterscheiden. Oft führt das persönliche Verständnis von Schuld zu einer falschen Einschätzung. Dadurch gerät die eigenen Schuldgefühle durcheinander, was wiederum zu unverschuldeten Schuldgefühlen führt. Die Gewissensbisse haben allerdings überhaupt nichts mit einem schlechten Verhalten zu tun! Unverschuldete Schuldgefühle sind schlichtweg "einfach nur" geplagt von Vorwürfen, Anschuldigungen und Selbstbezichtigungen. Habt ihr schon einmal einem Freund/einer Freundin abgesagt? Dann sollte Euch das folgende Muster bekannt vorkommen:

1. Ich handle. (Ich teile mit, dass ich eine Verabredung absagen muss.)
2. Jemand gerät daraufhin außer Fassung. (Die andere Person äußert Wut oder Enttäuschung.)
3. Ich übernehme die Verantwortung, egal, ob ich etwas damit zu tun habe oder nicht. (Ich fühle mich als schlechter Mensch.)
4. Ich fühle mich schuldig. 
5. Ich möchte es wieder gut machen. (Ich sage alles ab, damit ich die Verabredung doch wahrnehmen kann.)

Man glaubt also, jemanden verletzt zu haben. Wir versuchen unsere Schuld zu begleichen und fühlen uns besser, weil sich jemand anderes besser fühlt. Emotionale Erpresser bestärken diesen Glaubenssatz in uns und letztendlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis unverschuldete Schuldgefühle zu vermeintlichen verschuldeten Schuldgefühlen werden. Deswegen möchte ich betonen, dass hier ganz klar zu unterscheiden ist. 

Verlustangst: Das Kind in uns...
Wir werden in bestimmten (Konflikt)Situationen von unseren Verlustängsten geleitet, die aus der früheren Kindheit stammen. 
Verlustangst - das bedeutet, dass wir ohne eine Bezugsperson nicht überleben können. Diese Hilflosigkeit erzeugt Verlustangst, die man nicht mehr loswerden kann. Auch ist der Mensch bekanntlich ein Rudeltier. Keine Unterstützung und Zuneigung zu bekommen von Menschen, die wir lieben und von denen wir abhängig sind, ist unerträglich. Die Verlustangst ist nicht umsonst eines der mächtigsten und am leichtesten auszulösenden Gefühle in uns. Ereignisse und Gefühle unserer Kindheit bleiben im Innersten tief verborgen und kommen immer dann zum Vorschein, wenn Unruhe und Stress entsteht. Für unserer "emotionales" Gedächtnis ist es, als hätten diesen Dinge erst gestern stattgefunden. Wir agieren und reagieren bei einem entsprechenden Auslöser, auch wenn es nichts gibt, was diese Angst rechtfertigt. Wut zieht Angst nahezu magisch an und  aktiviert das Bedürfnis von Flucht oder Kampf. Wut geht mit Auseinandersetzungen, Verlust und sogar Gewalt einher. Davon sollten wir uns frei machen. Ich möchte Euch sagen: Wut ist nichts Schlechtes oder Schlimmes! Es ist ein Gefühl wie jedes andere auch. Die Angst vor Wut kann so groß sein, dass man sich Erpressungsversuchen gegenüber nicht länger wehren kann, weil man keinen Streit und/oder keinen Ärger möchte. Die Angst, anderen mit dem eigenem Wutausbruch zu verletzen, die Kontrolle oder den Halt zu verlieren, dominiert.

Emotionale Erpressung in Partnerschaften
Emotionale Erpressung in Partnerschaften läuft nach dem Prinzip: Kommt der eine dem Wunsch des anderen nach, wird er mit Zuwendung belohnt. Kooperiert er nicht, gibt es „Liebesentzug". Das Opfer handelt aus Angst, den anderen zu enttäuschen oder zu verlieren, Also nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus einem Pflichtgefühl heraus und fühlt sich verantwortlich dafür, dass es dem anderen gut geht. Es möchte sich nicht verantwortlich dafür fühlen, dass sich der Erpresser schlecht fühlt. Sobald der Erpresser merkt, dass er mit der Masche durchkommt, wird er das Opfer aber immer wieder manipulieren. Kurz gesagt: Der Partner, der manipuliert (Erpresser), sieht sich in einer Opferrolle.

Meistens ist das ein stummer Schrei nach mehr Anerkennung und Zuwendung. Der Erpresser fühlt sich nicht genug gewürdigt und/oder hat ein zu geringes Selbstwertgefühl. Vielleicht hat er aber auch riesige Erwartungen an die Beziehung und meint, nicht glücklich sein zu können, wenn der andere diese nicht erfüllt. Möglich ist auch, dass Wünsche nicht klar geäußert werden, aber stillschweigend erwartet, dass der jeweils andere sie erfüllt. Es bleibt die emotionale Erpressung dann nicht aus. Dieses Verhaltensmuster ist z.B. in Familien oft fest verankert, wenn man schon als Kind erlebt hat, dass ein Elternteil beim anderen mit einer bestimmten Masche seinen Willen durchsetzen konnte. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man dasselbe als Erwachsener in einer vergleichbaren Situation versucht...

Emotionale Erpressung am Arbeitsplatz
Emotionale Erpressung am Arbeitsplatz fühlt sich für die Betroffenen wie ein unlösbares Problem an. Vielleicht auch, weil man weiß,  dass der eigene Lebensunterhalt vom Erpresser abhängig ist. Das gibt dem Arbeitgeber schnell die Macht, birgt für das Opfer jedoch eine Gefahr für psychische und emotionale Gesundheit. Konflikte werden so lange hingenommen, bis die einzige Lösung die Kündigung ist.

Toleriere nichts, was die Gesundheit gefährdet. Definiere Deinen Arbeitsplatz neue, nehme alle Chancen wahr, die für einen möglichen Stellenwechsel wichtig sein könnten. Schaue, was es bedarf, um die Lage zu verbessern. Du wirst sehen: Oft verändert der Entschluss, das Beste aus der Situation zu machen, unser Handeln, Denken und Fühlen.

Emotionale Erpressung innerhalb der Familie
Es ist traurige Wahrheit: Manche Kinder müssen sich die Liebe ihrer Eltern verdienen. Wenn die emotionale Erpressung zu groß wird, brechen einige sogar den Kontakt gänzlich ab. Dass man einmal Probleme mit den Eltern hat, ist normal, dass man sich ihnen aber so gar nicht verbunden fühlt, ist merkwürdig. Oft tritt dieses Problem auf, wenn die Eltern geschieden Eltern sind, wenn z.B. Unwahrheiten erzählt werden, die das Kind (Opfer) beeinflussen. Elternteile versuchen, allem und jedem die Schuld daran zu geben, dass es ihnen nicht gut geht. Das Opfer lebt mit der Hoffnung/Illusion, irgendwann eine normale Beziehung zum Elternteil (Erpresser) zu haben. Von vielen Kindern wird auch häufig erwartet, dass sie das Vorzeigekind der eigenen Eltern sind. Sätze wie „Wenn Du nicht wärst, dann hätte ich schon längst…“ sind ebenfalls nicht ungewöhnlich. Auch, weil erpresserische Elternteile immer unzufrieden mit ihrem eigenen Leben sind. Für die Opfer besonders tragisch: das eigentliche Grundvertrauen in diese eine Person, die eigentlich immer für dich da sein sollte, wird massiv erschüttert.

Leider ist das Pflichtgefühl innerhalb von Familien immer noch sehr groß. Das Gefühl wird beherrscht von der Angst die Familie zu zerstören. Die Erpressungsopfer verlieren dadurch ihr Recht auf ein gutes Leben. Das Pflichtbewusstsein ist so groß, dass es die Persönlichkeit ganz klar definiert und dominiert und schließlich dazu führt, sich leicht manipulieren zu lassen.

Das "Brave Tochter" Syndrom
Bei diesem Thema wurden meine Ohren ziemlich spitz! Frauen sind bekannt dafür Probleme zu sehen, worüber sich andere überhaupt noch keine Gedanken gemacht haben ;-) Man möchte sich zusammen nehmen und anderen nicht zur Last fallen. Solche Personen haben meist sehr hohe Erwartungen an sich selbst und besitzen ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl. Sie wissen natürlich auch, was für andere am besten ist und sind bestrebt zu hören: "Toll, wie Du das alles schaffst!" Meistens haben diese Personen ein geringes Selbstwertgefühl und definieren sich deshalb über die Anerkennung durch andere. Sie denken nicht selten: „Ich mache so viel, er/sie könnte sich wenigstens zusammen nehmen." Oft haben diese Menschen in der Kindheit schon viel geleistet. Eventuell wollten sie ihre - aus welchen Gründen auch immer - belasteten Eltern unterstützen und es ihnen leicht(er) machen. Für sie ist es daher selbstverständlich, für andere mitzudenken und zu funktionieren. Hier kann es helfen, das Verhältnis zu den eigenen Eltern neu zu positionieren und sich von der Vorstellung zu verabschieden, das Schicksal der Eltern ändern zu können und es ihnen recht machen zu müssen, um geliebt zu werden. Von "perfekten" Menschen geht ein ungemeiner Druck aus. Es gilt, die eigenen Ansprüche runterzuschrauben und Schwächen zugeben zu können.

Jede Erpressung setzt immer zwei Beteiligte voraus!
Vollkommen unabhängig, in welchem Lebensbereich die emotionale Erpressung auftritt: Sie funktioniert nur mit der „Mithilfe“ der Opfer. Oder konkreter: Emotionale Erpressung betrifft immer zwei Personen. Eine Person, die erpresst und eine andere Person, die sich erpressen lässt. Letztlich benötigt der emotionale Erpresser einen Mitspieler. Seid Euch bewusst: Nur, wenn das Opfer sich auf seine Manipulation einlässt, hat er Erfolg. Emotionale Erpressung setzt voraus, dass das Opfer überhaupt ein Typ ist, der sich emotional erpressen lässt. Opfer der emotionalen Erpressung habe ihre Rolle früh gelernt und diese klar für sich angenommen.

Auswirkungen von emotionaler Erpressung und warum emotionale Stabilität so wichtig ist
Die Auswirkungen emotionaler Erpressung sind für das Opfer durch die angedrohten Konsequenzen (im Stich lassen, emotionale Ausgrenzung, Kündigung, keine Unterstützung, Wutausbrüche, körperliche Gewalt) enorm. Durch die ausgesprochenen Drohungen wird das Opfer bis auf ein unkontrolliertes Maß so sehr eingeschüchtert, dass es schließlich nur eine Frage der Zeit ist, bis die emotionale Erpressung in einen emotionalen Missbrauch übergeht. Emotionaler Missbrauch hinterlässt unsichtbare Wunden.

Fühlt sich das Opfer anhaltend schlecht, kann es depressiv werden, eine Angststörung entwickeln und/oder körperliche Probleme wie etwa Schlafstörungen erleiden. Die Selbstachtung leidet und die eigenen Werte und Ideale schrumpfen auf ein Minimum. Durch das mangelnde Wohlergehen entsteht ein psychischer Schmerz, der die emotionale Stabilität reduziert.

Emotionale Stabilität gelingt nicht, solange wir uns von unseren Angst-,Pflicht- und Schuldgefühlen leiten lassen. Das lässt den Pessimismus und den Unmut wachsen. Es gilt, sachlich bleiben zu können und den eigenen Gefühlen nicht sofort nachzugeben. Emotionale Stabilität bedarf einem gesunden Selbstbewusstsein und einer guten Selbstbeherrschung, um die notwendige Ruhe und Zufriedenheit in Stresssituationen auszustrahlen. Erkenne Deine Gefühle und Emotionen als ein Geschenk an. Wie gesagt: Wut ist z.B. nichts Schlimmes. Du solltest herausfinden, wie Du Deine Gefühle und Emotionen für Dich und nicht gegen Dich verwendest, wie Du Dich mit ihnen auseinandersetzt und wie Du sie kontrollieren kannst. Lasse Dich weniger von Deinen Gefühlen treiben. Hinterfrage lieber, woher diese Gefühle kommen und was sie in Dir auslösen und warum.

Zeit für Veränderungen!
Angst wird schnell als Aufforderung zum Fliehen erkannt: Menschen gehen dem aus dem Weg, was sie am meisten fürchten. Hast Du den Spieß jedoch schon einmal umgedreht und Dich dem gestellt, was Du fürchtest? Als Opfer von emotionaler Erpressung solltest Du Dich von dem Gedanken verabschieden, für die Gefühle und Emotionen des Erpressers verantwortlich zu sein. Mache Dir bewusst: Nur, weil Du nicht nach den Vorstellungen des Erpressers funktionierst, bist Du noch längst kein schlechter Mensch. 

Akzeptiere, dass er sich schlecht fühlt – suche aber nicht die Schuld bei Dir! Nehme ggf. professionelle Hilfe in Anspruch und reduziere Deine Erwartungen an Dich und andere. Es gilt auch zu erkennen, dass man selbst vielleicht auch verändern muss und dass die Last der Verantwortung nicht nur bei einer Person liegt. Binde Deinen Erpresser aktiv in den Problemlösungsprozess ein, frage nach seiner Unterstützung, um Vorschläge, etc. Damit machst Du deutlich, dass Du dich wirklich für die Sichtweise des Erpressers interessierst und seine Gefühle respektierst. Gehe auf ihn mit Neugier und Bereitschaft zu und bilde Ich-Sätze -  das verändert den Ton. Du darfst wütend sein, bleibe jedoch ruhig und schaffe emotionale Stabilität. Dann gelingt es Dir auch, Entscheidungen klar mitteilen und  inhaltliche Diskussionen vermeiden zu können. Vermeide auch hitzige Diskussionen, die zu nichts führen. Verzichte auf jegliches Kommentar und rechtfertige Dich nicht. Höre lieber in Dich hinein. Bleibe standhaft, mache Deinen Angst-, Pflicht- und Schuldgefühlen innerlich Platz, aber lasse Dich möglichst nicht von ihnen leiten. Rechtfertige Dich oder Deine Entscheidung nicht, wenn Du Dich unter Druck gesetzt fühlst. Versuche, Deine Angstgefühle zu überwinden und die Unterwerfung gegenüber dem Erpresser aufzulösen. Stehe für Dich ein!

Drohung mit Selbstmord
Typisch für das Profil vom (Selbst)Bestrafer ist die Drohung mit Selbstmord: „Wenn Du mich verlässt, bringe ich mich um.“ Für das Opfer entsteht dabei ein unheimlich erdrückendes Gefühl: "Wenn er sich etwas antut, könnte ich mir das niemals verzeihen…" Auch wenn die Drohung mit Selbstmord die schärfste Form der emotionalen Erpressung ist: Man kann nicht sicher sein, ob sich nicht doch ein ernst gemeinter Vorsatz dahinter verbirgt. Ich möchte ausdrücklich betonen: Ausharren gibt dem Opfer keine Garantie für die Rettung des Erpressers! Es sorgt viel mehr dafür, dass der Erpresser die Drohung immer wieder dann anwendet, wenn er die Kontrolle verstärken will. Schlussendlich bedeutet das aber auch, dass das eigene Leid für das Opfer immer größer wird. Das Opfer sollte Unterstützung leisten, aber nicht aus Pflichtgefühl bei dem Erpresser bleiben. Signalisiere dem Erpresser, dass Du ihm zuhörst und er Dir wichtig ist. Es gilt, dem Erpresser die Möglichkeit zu geben über seine Gefühle zu sprechen, ohne ihm seine Gedanken auszureden! Ich möchte an dieser Stelle auch auf die Telefonseelsorge hinweisen: 0800 1110111.

Fazit
Wer mit emotionaler Erpressung lebt, wird langsam aufgefressen, die wichtigsten Beziehungen und nicht auch zuletzt die Selbstachtung geraten in große Gefahr. Es bedarf viel Mut und Kraft, sich mit emotionaler Erpressung zu konfrontieren. Es gilt aber auch: Jeder muss selbst handeln, den ersten Schritt wagen und die Herausforderung meistern. Je enger die Beziehung zum Erpresser ist, desto höher der Einsatz und desto leichter kann man verletzt werden. Das ist menschlich und nichts Verwerfliches! Der Erpresser ist geblendet von seinen eigenen Bedürfnissen und Gefühlen, hinterfragt die Gefühle des Opfers nicht und auch nicht das eigene Verhalten. Er ist von der Richtigkeit seines Verhaltens überzeugt. Immer und zu jeder Zeit. Emotionale Erpressung und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem Erpresser erfordert den höchsten Einsatz aller innerer Kräfte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bitte beachte ab Mai 2018 die neue Datenschutz-Grundverordnung. Mit Absenden eines Kommentars und bei Abonnieren von Folgekommentaren stimmst Du der Speicherung personenbezogener Daten zu.