Tabuthema: Beziehungsgewalt - Gewalt gegen Frauen

24.01.2022
Gewalt in Beziehungen (Beziehunsgewalt) ist ein seeeeehr schweres Thema. Das ist der Grund dafür, warum ich die nachfolgenden Zeilen, meine Recherchen und die Auseinandersetzung mit der Thematik so lange hinausgezögert habe. Nun sitze ich hier und stelle mich der Herausforderung. Nicht zuletzt möchte ich das Tabu auch zum Schutz aller Opfer brechen. Die Kommunikation stärkt nicht nur die Aufklärung, sondern auch das Gefühl des Miteinanders. Sie stärkt den Zusammenhalt und nimmt das Gefühl des Alleinseins. Zumindest ist es das, was ich erreichen möchte. Ganz allgemein unterscheidet man übrigens zwischen körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt. Und ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich erwähnen, dass jegliche Form von Gewalt – vollkommen egal, ob in oder außerhalb von Beziehungen – nicht ok ist. Das (Tabu)Thema der seelischen Gewalt habe ich bereits in den Themen Narzissmus und emotionale Erpressung/Manipulation aufgegriffen. Die seelische Gewalt gilt auch häufig als „Vorstufe“ von körperlicher und sexualisierter Gewalt. Sexualisierte Gewalt – dazu zählen sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch. Kurz gesagt: sexuelle Handlungen ohne Einwilligung. Von körperlicher Gewalt – oft auch physische Gewalt genannt – spricht man, wenn es um Gewaltanwendungen gegen den Körper eines Menschen geht, um diesen zu schädigen, zu verletzen oder gar zu töten. Körperliche Gewalt trifft vor allem viele Frauen im Rahmen von häuslicher Gewalt durch den eigenen Partner. Für diesen Beitrag konzentriere ich mich daher ausschließlich auf körperliche Gewalt gegen Frauen innerhalb von Beziehungen. Selbstverständlich schließt Beziehungsgewalt aber kein Geschlecht und keine Art von Partnerschaft aus – das ist mir noch wichtig zu sagen. Beziehungsgewalt in heterosexuellen Beziehungen unterscheidet sich kaum von Beziehungsgewalt in homosexuellen Beziehungen.

Bevor ich jetzt mit dem Thema beginne, muss und möchte ich auf das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ hinweisen, das in 18 verschiedenen Sprachen "bedient" wird: 08000 116 016. Vertraulich, kostenfrei und rund um die Uhr. Selbstverständlich gibt es auch ein Hilfetelefon „Gewalt an Männern“: 0800 1239900. Solltet ihr persönlich betroffen sein oder jemanden kennen, der jemanden kennt, etc. – dann wendet Euch bitte auch an eine Beratungs- oder Interventionsstelle. Für Hilfe ist es nie zu spät. Denn es gilt: Jeder Mensch – egal ob Frau oder Mann - hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.





Während meiner Recherchen hat sich mir übrigens schnell eine nicht ganz unwesentliche Frage gestellt:
 
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Beziehungsgewalt und häuslicher Gewalt? 
Schließlich kann Beziehungsgewalt doch auch in einem gemeinsamen Haushalt erfolgen? Hierfür solltet ihr wissen: Beziehungsgewalt umfasst alle Formen physischer, sexueller und psychischer Gewalt zwischen zwei Personen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Personen in einer Ehe, in einer eingetragenen Partnerschaft oder in einer Beziehung leben. Auch die sexuelle Orientierung ist nicht relevant. Was zählt ist, dass die Personen in einer partnerschaftlichen Beziehung zueinander stehen. Der Ort der Gewalttat kann überall sein. Häufigster Tatort sind jedoch die eigenen vier Wände. Somit fällt Beziehungsgewalt eben oft auch in die Kategorie der häuslichen Gewalt. Häusliche Gewalt bezeichnet Gewalttaten zwischen Menschen, die in einer häuslichen Gemeinschaft leben oder lebten. Die Betroffenen sind häufig auch Opfer psychischer Gewalt, also Opfer von Demütigungen, Drohungen, Einschüchterungen, sozialer Isolation oder wirtschaftlichen/finanziellen Druck.

Beziehungsgewalt und häusliche Gewalt unterscheiden sich also sehr wohl, sind aber leider oft eng miteinander verknüpft. Soviel zur Begriffserklärung. Schauen wir uns doch einmal die Zahlen an:

Statistiken, Zahlen, Fakten...
Traurige Wahrheit ist, dass Beziehungsgewalt 2020 weiter zugenommen hat. Das zumindest zeigt die Kriminalstatistische Auswertung Partnerschaftsgewalt vom 23.11.2021 des BKA. Demnach kommt Gewalt in Form von Bedrohung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Vergewaltigung in Beziehungen nach wie vor erschreckend häufig vor. Hättest Du das gedacht? Das ist ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr um 4,9 Prozent! Auch die Zahl der Gewaltopfer in Beziehungen stieg um 4,4 Prozent: von 141.792 Opfern im Jahr 2019 auf 148.031 Opfer im Jahr 2020. Und es sei auch dazu gesagt, dass überwiegend Frauen betroffen sind: 80,5 Prozent der Opfer sind weiblich und 79,1 Prozent der Tatverdächtigen sind Männer. 37,9 Prozent der Gewalttaten werden durch Ex-Partner oder Ex-Partnerinnen begangen; der übrige Teil innerhalb von bestehenden Ehe- und Lebenspartnerschaften. Am häufigsten betroffen waren im Jahr 2020 Opfer zwischen 30 und 40 Jahren. Und: 139 Frauen und 30 Männer wurden im Jahr 2020 durch ihre aktuellen oder ehemaligen Partner oder Partnerinnen getötet! Aber noch viel schlimmer: Die Dunkelziffer ist gewiss sehr viel höher!

Dunkelziffer und Beziehungsgewalt während der Corona-Krise (Lockdown)
Während des Corona-Lockdowns im Jahr 2020 gab es laut BMFSFJ keinen eindeutigen Anstieg der Fälle: Im Vergleich zum Vorjahr zeigte sich im April 2020 ein Anstieg von 2,9 Prozent, im Mai von 3,7 Prozent. Während des zweiten Lockdowns (Anfang November/ Mitte Dezember 2020) sank die Anzahl der registrierten Fälle im Vergleich zum Vorjahr sogar um 1,5 Prozent; im Dezember um 3,2 Prozent. Aber wie kann das sein? Eine Erklärung könnte die Situation im Lockdown sein. So nimmt man an, dass es der Lockdown den Betroffenen schwerer machte, Anzeige zu erstatten. Für Außenstehende hingegen war es aufgrund von Isolation und Kontaktbeschränkungen schwieriger, Gewalttaten im Umfeld zu erkennen. Schließlich muss man also sogar annehmen, dass sich das Ausmaß von Beziehungsgewalt sogar vergrößert hat, ohne dass es sich bisher in den polizeilich registrierten Fällen niederschlägt. Die Auswertungen des bundesweiten Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" z.B. zeigen klar, dass die Zahl der Beratungskontakte in den Corona-Lockdowns zugenommen hat. 2020 wurden mehr als 51.000 Beratungen dokumentiert. Das sind rund 15 Prozent mehr als im Vorjahr!

Nun fragt ihr Euch vielleicht: Wer oder was steckt hinter diese Zahlen? Welche Gesichter haben Täter und Opfer? Wie erkennt man sie? Und gibt es bestimmte Stereotypen? 

Täter-Opfer-Profil
Vielleicht gehst Du bei den Opfern von bestimmten Stereotypen aus. So geht es nämlich vielen Menschen. Wenn wir an Beziehungsgewalt und Gewalt gegen rauen denken haben wir ein Bild von Frauen mit mangelnden Durchsetzungsvermögen im Kopf. Frauen, die betroffen sind von Armut, Bildungsferne, Unsicherheit und der Unfähigkeit, Grenzen zu setzen. Vielleicht haben diese Frauen auch eine gewisse Neigung zu Fehlentscheidungen? An dieser Stelle muss ich eingreifen und klarstellen, dass sich die Opfer eben nicht von anderen Frauen unterscheiden. Bei den Opfern handelt es sich um Berufstätige, Hausfrauen, Wohlhabende und Arme. Was ich damit sagen möchte? Gewalt trifft Frauen in allen Bevölkerungsschichten, unabhängig von ihrem Einkommen, ihrer Kultur, ihrer Religion, Bildung und Herkunft. Man sollte die Opfer also absolut nicht über einen Kamm scheren und in allen Bereichen aufmerksam sein. Beziehungsgewalt kann jeden von uns treffen, ohne dass sich das Unheil vorher ankündigt oder den Frauen die Gewalt direkt anzusehen ist. Selbes gilt natürlich auch für Gewalttäter: Man kann sie keinem bestimmten Stereotypen zuordnen. Hier haben wir oft das Bild eines brutalen Schlägers vor Augen. Vielleicht ist dieser ungebildet, ohne festen Job, Alkoholiker und/oder drogenabhängig. Aber seid gewiss: Alles Klischees! Gewalttätige Männer sind oft auch erfolgreich, engagiert, aufrecht, charmant, kontaktfreudig und nett. Sie können ihre Gewalttätigkeit hervorragend verbergen.

Ich möchte Euch daher bitten, Eurer persönlichen Wahrnehmung mehr Beachtung zu schenken als den gängigen Klischees. Seid aufmerksam in Eurer eigenen Beziehung, aber auch im Familien- und Freundeskreis. Es ist nie zu spät Hilfe anzubieten und zu unterstützen.

Die Illusion einer perfekten Beziehung: Aber er liebt mich doch?!
Ihr fragt Euch vielleicht: Wie kann es überhaupt so weit gekommen? Kündigt sich das Unheil vorher an? Gibt es Anzeichen? Zu Beginn der Beziehung ist alles noch sehr positiv und liebevoll. Es gibt keine Anzeichen für übergriffige Verhaltensweisen des eigenen Partners- bis die Beziehung plötzlicher enger wird und schließlich etwas passiert, was ein ungutes Gefühl auslöst. Ja, oft blendet man einen „einmaligen“ Ausrutscher auch gerne aus: Der Täter findet eine Erklärung für sein Verhalten und entschuldigt sich. Und schließlich gilt: „Niemand ist perfekt.“ Auch Meinungsverschiedenheiten sind normal. „Es gehören immer zwei dazu.“ - beide sind also gleichermaßen für Probleme in der Beziehung verantwortlich. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf… Man sieht über das (Fehl)Verhalten des Partners hinweg, um die Verbundenheit und Nähe wiederherzustellen. Ja, und vielleicht stürzt man sich auch in die Scheinwelt. Man muss den Partner schließlich akzeptieren, wie er ist. Jeder macht mal Fehler. Der Partner wirkt zusätzlich ernsthaft bemüht. Tragisch ist dabei, dass sich viele Opfer häufig Gedanken machen und ihr eigenes Verhalten ändern wollen. Man flüchtet sich in die Vorstellungen von Liebe und einer perfekten Beziehung, aber nichts von dem entspricht der Realität. Wer selbst schon einmal von Gewalt betroffen war weiß, dass jegliche Bemühungen seitens des Opfers zwecklos sind. Die Beziehung ist nicht zu retten. Und nichts rechtfertigt die Übergriffe! Das grundlegende Problem ist nämlich die Gewalt des Partners und sein nahezu krankhaftes Bedürfnis nach Macht und Kontrolle. Es gibt nichts, was man tun kann, um den Partner zu ändern: Er möchte einzig und allein seinen Willen durchsetzen und besitzt oft kein aufrichtiges, ernsthaftes Interesse an dem Opfer und der Beziehung. Vielleicht kann es helfen, sich als Opfer auf die "Indizien" zu fokussieren, anstatt auf seine leeren Versprechungen. Das könnte Klarheit schaffen und verringert die emotionale Verwirrung. Und dann gelingt es eventuell auch seine Wiedergutmachungsaktionen aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können und zu verstehen: 

Die Schuld liegt nicht beim Opfer. Die Schuld liegt ganz klar beim Täter. Und alles, was man als Opfer tun kann, ist sich selbst zu retten.

Wo bzw. wann beginnt körperliche Gewalt in Beziehungen?
Ich werde es sicherlich noch öfters erwähnen: Beziehungsgewalt basiert auf ein sehr ausgeprägtes Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Täter und dem Opfer. Die Gewalt beginnt meist sehr viel eher, als die Beteiligten annehmen. Nämlich nicht erst dann, wenn körperliche Gewalt ausgeübt wird. Die Gewalt breitet sich langsam aus; beginnt also schleichend. Der Partner wird vielleicht immer wieder aufbrausend, beginnt zu wüten, wird aggressiv, eifersüchtig und/oder erlebt Wutausbrüche. Der Täter begegnet seinem Opfer nicht mehr auf Augenhöhe, sondern versucht es herabzusetzen - mit dem alleinigen Ziel, die eigenen Interessen durchzusetzen. So nimmt das Unheil langsam aber stetig seinen Lauf, während das Opfer weiterhin Gründe und Ausreden sucht, das eigene Verhalten untersucht und dabei das Wesentliche ausblendet....

Das "Rad der Gewalt"
Das "Rad der Gewalt" stammt aus einem amerikanischen Interventionsprojekt gegen Gewalt an Frauen: dem DAIP. Es zeigt die Mechanismen auf, die der Partner benutzt und weist darauf hin, dass alle Taktiken der Gewalt einzig und allein auf Macht und Kontrolle des Partners (Täters) basieren. Die Taktiken dienen der Durchsetzung von Kontrolle, Einschüchterung und Minderwertigkeit. Zusammengefasst: Das Rad der Gewalt zeigt Beispiele auf, wie sich Gewalt manifestieren kann.

Auch wenn sich dieser Beitrag auf körperliche Gewalt gegen Frauen konzentriert, halte ich es für den weiteren Verlauf und für die Aufklärung und Sensibilisierung der Thematik für relevant, Euch zusätzlich über die anderen Arten von Gewalt aufzuklären und die verschiedenen Dimensionen aufzuzeigen. Sie sind oft die Vorstufen von körperlicher Gewalt bzw. greifen ineinander über. Ich möchte auch, dass ihr erkennt, dass jede Art von Gewalt ausdrücklich nicht ok ist!

Intellektuelle Gewalt beinhaltet z.B. "Psychospielchen", den Angriff auf Meinungen und Ideen, die Manipulation von Informationen und einen Perfektionsanspruch.
Finanzielle Gewalt ist z.B. die Zuteilung des Geldes, alleinige Kontrolle über Finanzen, Schließung von Konten, Schulden machen. 
Zu Gewalt gegen Haustiere oder Gegenstände zählt das Bedrohen oder Töten von Haustieren, das Schlagen mit den Fäusten gegen die Wand, mit Gegenständen um sich werfen, Fahrzeuge vorsätzlich beschädigen, Gegenstände zerstören.
Psychische Gewalt umfasst einschüchternde Gesten oder Handlungen, Drohungen mit Mord oder Selbstmord, Leugnen von verbalen Äußerungen, Verharmlosung von Gewaltverhalten.
Physische Gewalt ist die Gewalt durch Anspucken, Würgen, Schlagen, Treten oder Festhalten, das Blockieren von Ausgängen, das Ein- oder Aussperren und Einschüchterungsversuche.
Verbale Gewalt beinhaltet Beleidigungen, Beschimpfungen, Kränkungen, das Anschreien und abwertende Kommentare.
Sexualisierte Gewalt sind sexuelle Handlungen gegen den eigenen Willen (Vergewaltigung), Behandlung als Sexobjekt sowie sexuelle An- und Übergriffe.

Der Kreislauf der körperlichen Gewalt
Habt ihr schon einmal vom „Kreislauf der Gewalt“ nach Leonore Walker gehört? Der Kreislauf ist nicht immer klar strukturiert oder genau vorhersehbar, geschweige denn 1:1 zutreffend. Und doch kann man sich als Außenstehende/r sehr gut daran orientieren und erkennen, wie der Kreislauf der Gewalt funktioniert; wie das Machtgefälle und die Abhängigkeit entstehen. Werfen wir am besten gemeinsam einen Blick darauf:

1. Die Phase der verstärkten Zuwendung
Die Phase der verstärkten Zuwendung ist auch die „Anfangsphase“. Es ist, als würde man vom Partner auf Händen getragen werden. Diese Phase kann unterschiedlich lange andauern - Wochen oder Monate. Das Verhalten des Partners/Täters ist dabei natürlich außerordentlich positiv. Er verhält sich aufmerksam, rücksichtsvoll und überhäuft sein späteres Opfer regelrecht mit Liebe und Geschenken. Es werden Versprechungen gemacht. Kurz gesagt: Er verhält sich ausgesprochen angenehm oder normal. Vielleicht hat das Opfer das Gefühl, dass alles etwas schnell geht, aber Bedenken werden über Bord geworden. Alles scheint perfekt. (Nicht umsonst gilt die Zuwendungsphase auch als "Phase der Manipulation"...)

2. Die Phase des Spannungsaufbaus
Nach der Zuwendungsphase baut sich langsam aber stetig Spannung auf. Auch die Phase des Spannungsaufbaus kann unterschiedlich lange dauern: Minuten, Stunden, Wochen oder Monate. Der Täter wird in dieser Phase mürrisch, ist schweigsam, unberechenbar und/oder launisch. Das führt nicht nur zu Verunsicherungen beim Opfer, sondern auch zu unerträglichen Spannungen zwischen beiden Beteiligten. Die Veränderung kommt subtil und schleichend. Eventuell kommt es zu Beschuldigungen, Unterstellungen, der Suche nach Fehlern und Versäumnissen. Alles, was man macht, ist falsch. Auch macht der Täter vermehrt sarkastische Bemerkungen oder Witze auf Kosten des Opfers. Der Täter ist eventuell eifersüchtig, meldet sich weniger und erklärt, dass er Abstand benötigt. Das führt zu emotionaler Distanz. Das Opfer versucht sein Verhalten natürlich zuzuordnen und Erklärungen zu finden, die Lage droht aber zu eskalieren, schließlich übt der Täter vermehrt Kontrolle und Macht aus. Er kritisiert viel, meckert nur noch rum, ist desinteressiert und kühl. Das Opfer setzt alles daran eine Eskalation zu vermeiden und ist enorm angespannt. Zu Recht! Denn schon bald kommt es zum ersten Vorfall.

3. Phase des Gewaltausbruchs
Die ersten Vorfälle sind vielleicht „keine große Sache“. Sie knüpfen an einen Streit, ein Missverständnis oder eine Meinungsverschiedenheit. Dabei wird der Täter laut und beschimpft. Er straft sein Opfer eventuell auch mit Schweigen. Obacht! Die Phasen des Gewaltausbruchs werden intensiver. Beschuldigungen, Drohungen und Rache stehen bald auf der Tagesordnung, bis es schließlich zur Gewalt kommt. Der Täter wirft evtl. mit Gegenständen um sich, wird handgreiflich, brüllt herum, flucht und hat eine stark einschüchternde Körpersprache. Solche Ausbrüche können in immer kürzeren Abständen erfolgen, die für das Opfer nicht vorhersehbar sind. Man ist dem Täter ausgeliefert.

Warum ist es für viele Opfer so schwierig, diesen Kreislauf zu durchbrechen?
Als Außenstehende Person fragt man sich natürlich, warum es das Opfer nicht schafft, diesen Kreislauf zu durchbrechen und den Partner zu verlassen. Hierfür muss man wissen: Es ist nichts Ungewöhnliches, dass der Täter nach dem Gewaltausbruch wieder in die Phase der verstärkten Zuwendung zurückkehrt. (aufmerksam und rücksichtsvoll sein, mit Liebe und Geschenken überhäufen, etc.) Er gelobt Besserung, entschuldigt sich vielleicht sogar und wirkt ernsthaft bemüht. Kurz gesagt: Der Täter versucht das Opfer davon zu überzeugen bei ihm zu bleiben. Und das Opfer? Das ist verliebt, verunsichert und flüchtet sich in Erklärungen für sein Verhalten. Die Beziehung wird also fortgeführt und der Kreislauf nimmt wieder seinen Lauf. Alles auf Anfang. Immer mit dem Ziel, die Macht und Kontrolle aufrecht zu erhalten. Jede Phase dieses Kreislaufs ist von unterschiedlichen Übergriffen gekennzeichnet. Sie gehen vielleicht nicht immer nahtlos ineinander über. Sie vermischen sich auch einmal oder es erfolgt eine andere Abfolge. Der Versuch, die Beziehung aufrecht zu erhalten und weiterzuführen, beansprucht jegliche Kraft und Konzentration des Opfers. Die Zuwendungsphase sorgt dafür, dass das Opfer weiter an der Beziehung arbeiten möchte - anderenfalls würde man die Hoffnung vermutlich schneller aufgeben, weil der Kreislauf nur noch aus Spannungsaufbau und Gewaltausbruch bestehen. Das ist der Haken, mit dem der Täter sein Opfer jedes Mal wieder ködert. Die Zuwendungsphase könnte also auch als „Phase der manipulativen Liebenswürdigkeit“ bezeichnet werden. Sie ist ein sehr negatives, zerstörendes Element der Beziehung und hat keinerlei positive Hintergründe. Auch, wenn es vielleicht den Anschein hat. Die Phase des Gewaltausbruchs gehört einzig und allein dem gewalttätigen Partner. Er steuert sie, benutzt sie als Waffe und findet jederzeit Gründe um übergriffig zu werden. Sein einziges Ziel: die Kontrolle zurückzugewinnen und Taktiken zur Sicherung seiner Macht einzusetzen. Die Opfer dagegen glauben, dass sie für den Kreislauf verantwortlich oder gar Auslöser der Übergriffe sind. Sie möchten die Beziehung retten und das (Kontroll)Verhalten des Täters verhindern. Nicht selten passiert, dass die Opfer in ihrer Verzweiflung beginnen zu schreien oder mit Gegenständigen um sich zu werfen. Dies dient schlichtweg dem Selbstschutz. Es ist ihr Ventil, um die unerträgliche Spannung zu durchbrechen und gleichzeitig ein (hoffnungsloser) Versuch, die Phase des Spannungsaufbaus zu beenden. Dabei kann die Situation überhaupt nicht besser werden. Keine Chance. Nicht zuletzt empfinden viele Frauen auch unerträgliche Scham- und Schuldgefühle, was schließlich dazu führt, dass sie sich vermehrt abschotten, Gespräche meiden, sich niemanden anvertrauen, sich isolieren und soziale Kontakte reduzieren. Dabei ist das Problem einzig und allein die Gewalt des Täters. Das Problem ist nicht das Opfer. 

Für eine Sache haben wir bisher aber noch keine Erklärung gefunden: 

Warum wird der eigene Partner gewalttätig?
Warum Partner in Beziehungen gewalttätig werden, ist sicher sehr individuell und sorgt für viele Spekulationen. Das "Warum" können wohl einzig und allein die Täter selbst beantworten. 

Sigmund Freud glaubte, das Gewalt zur Natur des Menschen gehört. Neurobiologen sagen heute: Gewalt ist eine Folge von sozialen Faktoren. Aggression würde auf den natürlichen Trieben des Menschen basieren. Demnach sei Aggression ein angeborenes Verhaltensprogramm, das abgerufen werden kann. Auch sei die Fähigkeit, bei Bedarf aggressiv sein zu können, überlebenswichtig. Aus neurobiologischer Sicht gibt es auch keinen sogenannten Aggressionstrieb, also keine biologisch verankerte Lust auf physische oder psychische Gewalt. Allerdings können Umweltfaktoren (z.B. eine Traumatisierung, eine Frustration oder Provokation) mit dieser genetischen Veranlagung interagieren. Das erhöht dann auch die Wahrscheinlichkeit von aggressivem Verhalten sehr stark. Und: Gewalttätige Menschen wachsen meist unter gewalttätigen Umständen auf. Und diese traumatischen Erlebnisse können schließlich weitervererbt werden – und sich in Gewalt äußern. Vor allem dann, wenn sie nie aufgearbeitet wurden! Ich persönlich halte es daher für ungemein wichtig, bereits im jungen Alter gewissen Verhaltensmustern präventiv entgegen zu wirken. Das Leid, das man als Kind erlebt hat, wird viel zu oft weitergegeben. 

Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass die Ursachen für Gewalt/gewalttätige Verhaltensmuster wirklich sehr sehr individuell sind. Es gibt kein klassisches Täter-Profil, keine Stereotypen. Nicht einmal die Täter selbst wissen oft, was in Phasen des Gewaltausbruchs in ihnen vorgeht und welche Traumata in ihnen stecken.

Körperliche Gewalt in Beziehungen und ihre Folgen
Ich muss Euch sicherlich nicht sagen, dass die Folgen der Beziehungsgewalt für die Opfer unerträglich groß sind. Gewaltausbrüche vom Täter können gefährliche Ausmaße annehmen. Sein Verhalten ist in Phasen des Gewaltausbruchs überhaupt nicht einzuschätzen. Opfer erleben sehr schwere Zeiten, die mit ungeheuerlichen Stress und Druck einhergehen. Die Selbstsicht leidet ebenso wie das Selbstwertgefühl. Häufig meiden sie soziale Kontakte, isolieren sich und/oder verzeichnen einen höheren Alkohol-, Tabak- und/oder Medikamentenkonsum. Die Organisation des Haushalts könnte zur enormen Belastung werden, ebenso die Versorgung der Kinder und die eigene Pflege. Es kann zu Depressionen, einer posttraumatischen Belastungsstörung, Burn-Out und anderen psychischen Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen kommen. Die Erlebnisse sind für das Opfer höchst traumatisierend. Ganz zu schweigen von den körperlichen Verletzungen, die durch die Gewalt entstanden sind und langfristige Folgen haben: Herz- und Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Magengeschwüre, Verdauungsprobleme, Unterleibsentzündungen, Verspannungen/Rückenprobleme, eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. 

Wie kann ich als außenstehende Person Betroffenen helfen?
Zugegeben: Der Zugang zu Opfern von körperlicher Gewalt in Beziehungen ist sehr sehr schwierig. Als Außenstehende Person fühlt man sich oft ebenso hilflos und machtlos wie das Opfer. Falls Du eine Person kennst, die von Gewalt betroffen ist, gilt: Du solltest unbedingt Informationen über Hilfsangebote einholen und diese dem Opfer zur Verfügung stellen. Ich denke da z.B. an das Telefon "Gewalt gegen Frauen", an Interventionsstellen, Frauenhäuser, Beratungsstellen, Weisser Ring e.V., etc. Höre dem Opfer zu, aber bedränge es bitte nicht. Opfer fühlen sich sehr schnell unter Druck gesetzt. Es kann zur absoluten Resignation kommen. Das verzögert den Prozess der Hilfe natürlich nur. Achte auch immer auf Deine eigene Belastungsgrenze! Auch kannst Du Deine Hilfe z.B. bei der Kinderbetreuung, bei dem Zugang von Telefon und/oder Computer, bei Weggängen und Fahrdiensten anbieten. Finde heraus, was das Opfer davon abhält, den Täter zu verlassen und achte stets auf Sicherheit - sowohl auf die des Opfers, als auch Deine eigene! Es sollte keine alleinige Konfrontation mit dem Täter stattfinden. Stelle Dich auf Rückschritte ein. Gehe dabei Schritt für Schritt vor und überfordere das Opfer nicht. Schaffe Vertrauen!

Dein Recht auf ein sicheres und gewaltfreies Leben!
Es ist leider ein fataler Irrtum anzunehmen, dass sich Betroffene direkt erleichtert und befreit fühlen, sobald sie sich von einem gewalttätigen Partner lösen konnten. Oft ist das Gegenteil der Fall: Viele Frauen fühlen sich zerstört, hilflos, unvollständig und irgendwie nicht wie sie selbst. Nun heißt es: stark bleiben und jeglichen Kontakt meiden! Nur so kann verhindert werden wieder in den Kreislauf der Gewalt zu gelangen. Opfer sollten sich Zeit geben, sich auch emotional aus dieser Beziehung zu lösen. Dieser Prozess kann unter Umständen lange dauern, schmerzvoll und schwierig sein, aber es ist enorm wichtig zu verstehen und zu akzeptieren, was passiert ist. Gewalt – vollkommen unabhängig von ihrer Art – kann Menschen in psychische Krisen stürzen! Der Heilungsprozess beinhaltet verschiedene Phasen: Phasen der Sorge und Trauer, ebenso die Phasen der Neuorientierung und Hoffnung und des "Wiederaufbaus". Sie gehören zur Bewältigung von traumatischen Gewalterfahrungen dazu und sind ganz natürlich, auch wenn sie zunächst sehr ambivalent wirken und Betroffene emotional total herausfordern. Ja, diese Schwankungen sind zum Teil anstrengend. Insgesamt ist der Heilungsprozess ein sehr langwieriger Prozess. Oft verändert er sich auch im Laufe der Zeit, bis schließlich nur noch die Trauerphase und die Wiederaufbauphase überwiegen. Ein einziges Auf und Ab der Gefühle. 

Falls Du betroffen bist/warst, möchte ich Dir sagen: Halte durch! Es ist wichtig, dass Du auf Dich Acht gibst, inneren und äußeren Stress reduzierst und Deine Widerstandskraft stärkst. Das sagt sich in der Tat einfacher, als es letztendlich für Dich ist. Aber vielleicht hilft es Dir kleine und realistische Ziele zu setzen, Dir selbst etwas Gutes zu tun und Dir Phasen der Ruhe zu genehmigen. Ich möchte auch sagen: Die Schuld liegt nicht bei Dir. Höre auf, die Schuld bei Dir zu suchen. Du kannst nichts für das, was Dir widerfahren ist. Und vor allem: Du bist nicht allein. Das ist traurige Gewissheit. Es liegt nicht an Dir. Nun ist es an der Zeit, etwas für Dich und Deine Psyche zu tun. Akzeptiere, dass Dich Dein (Ex)Partner misshandelt/verletzt/zerstört hat und dass der Traum von der großen Liebe geplatzt ist. Immerhin hat sich die Beziehung anders entwickelt, als Du es Dir ursprünglich erhofft hast. Akzeptiere auch, dass diese Misshandlung Spuren hinterlassen hat und Dich die Spuren dieser Taten vielleicht noch lange (für immer?) begleiten werden. Akzeptiere, dass Du vielleicht als neuer Mensch aus dieser Beziehung herausgehst, dass Dich diese Erfahrung geprägt und gezeichnet hat. Du wirst vorsichtiger sein, skeptischer, ruhiger, vielleicht auch trauriger und wütender. Das ist ok. Und noch viel wichtiger: Hole Dir professionelle Unterstützung. Hast Du schon einmal über eine Traumatherapie nachgedacht? Oder über eine Psychotherapie? ProFamilia, Caritas und/oder Weißer Ring e.V. könnten ebenfalls geeignete Stellen sein. Wenn Du Dich nicht sicher fühlst, lasse Dir einen Kontakt für ein Frauenhaus vermitteln. Dieser Schritt ist oft ganz wichtig, um aus der Gefahrenzone herauszukommen und anonym und abgeschirmt Schutz zu finden. (Vor allem auch dann, wenn Kinder involviert sind.) Wichtig ist: Vertraue Dich Personen an, lasse Unterstützung und Hilfe von außen zu. Teile Deine Sorgen und werde den Ballast los, der sich in Dir befindet. Emotionen und Gefühle suchen sich früher oder später ihren Weg. Sorge für Dich selbst, für Deine innere und äußere Stärke, für Dein Selbstvertrauen. Du bist wichtig! Suche Dir ein Ventil. Bewegung und Sport sind immer eine tolle Möglichkeit. Und vor allem: Schreibe auf, was Dich bewegt und beschäftigt. So kannst Du sowohl Fortschritte als auch Rückschritte festhalten.

Fazit
Beziehungsgewalt ist ein unglaublich umfassendes Thema mit erschreckender Tragweite. Auch wenn ich mich für diesen Beitrag auf Beziehungsgewalt und Gewalt gegen Frauen konzentriert habe, so möchte ich noch einmal betonen, dass die Opfer sowohl Männer als auch Frauen sind!!! Selbes gilt im Umkehrschluss für Täter. Betroffenen ist das gesamte Ausmaß oft gar nicht bewusst; die Folgen sind umso gravierender. Es ist trauriger Fakt, dass die Zahlen der Beziehungsgewalt Jahr für Jahr steigen. Die Berliner Morgenpost berichtete im November 2021 z.B., dass jede dritte Frau aufgrund von Beziehungsgewalt getötet wird!
Solltet ihr selbst betroffen sein, schämt Euch nicht! Ihr seid nicht alleine. Und Euch trifft auch keine Schuld! Lasst Euch helfen und unterstützen. Angehörigen von Betroffenen möchte ich ebenso sagen: Seid aufmerksam und werdet aktiv. Opfer schaffen es nur selten allein aus dem Kreislauf der Gewalt hinaus. Und zu guter Letzt noch einmal ein ausdrücklicher Appell:

Was Dir als Opfer von Beziehungsgewalt widerfahren ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Diese Erkenntnis ist schmerzhaft, bedrückend und niederschmetternd. Aber alles, was Du für Dich tun hast, ist zu akzeptieren, dass dies Teil Deiner Geschichte ist. Du bist stärker als Du denkst. Der Täter darf nicht länger die Macht und Kontrolle über Deine Gefühle haben. Du bist so viel mehr! Du hast das Recht glücklich zu sein. Und viel wichtiger: Es gibt ein Menschenrecht auf ein sicheres und gewaltfreies Leben! Konflikte dürfen nur gewaltfrei gelöst werden. Du hast das Recht auf den eigenen Körper. Das Recht auf Hilfe und Unterstützung von der Polizei und das Recht auf Hilfe und Beratung. Bitte mache davon Gebrauch! Familie, Freunde und Angehörige sollten sich keine Vorwürfe machen, die Gewalt in der Beziehung nicht erkannt zu haben. Die Täter sind exzellent darin, ihr gewalttätiges Ich zu verbergen. 

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